Bericht vom 33. real Berlin Marathon (24. September 2006)
In den letzten Wochen und Monaten hatte ich viele Dinge im Kopf, die eine wesentlich höhere Priorität hatten, als ein vernünftiges
Training zum Berlin-Marathon. Laufen hat für mich eben nicht immer unbedingt die Priorität Nummer eins. Ganz einfach.
Da ich bei jedoch meiner aktuellen Bestzeit (03:58 in Paris) noch deutlich von meinem Limit entfernt war, hielt ich dennoch eine
neue Bestzeit von 03:45 bis 03:55 für realistisch. Beim fünften Marathon hat man schon eine gewisse Erfahrung. Das wird schon
klappen. Nicht gerade förderlich war, dass ich vor zwei Wochen 60 Kilometer binnen 24 Stunden gelaufen war (ein privates Projekt,
die Nidda von der Quelle bis zur Mündung zu laufen. Bericht dazu erfolgt separat in Kürze). Das hat mich völlig k.o. gemacht. Daraufhin
hatte ich sämtliche Lust am Laufen verloren und die zwei Wochen vor dem BM gar nicht mehr trainiert, ausser lockeren 11 Km am
Frankfurter Mainufer am vergangenen Sonntag. Eine miserable Trainingsvorbereitung also. Und genau DAS war auch der Grund für
meinen Einbruch gestern! Nicht die Hitze - die hat mir wenig ausgemacht.
Im Startblock H (zum letzten Mal in meinem Leben! :) ) geht es los. Es läuft gut. Sehr gut sogar. Meine Geschwindigkeit ist sogar
auch ziemlich konstant. Bleibe immer bei etwa 05:34 bis 05:35 auf den Kilometer. Halbmarathon bei 01:57h. Hm. Wird knapp.
Aber ich will - wie bei den letzten Marathons - einen negativen Split laufen. Passt also. Jetzt einfach ein klein bisschen schneller werden.
Wilder Eber. Die Stimmung ist zwar klasse, aber irgendwie nicht ganz so peppig, wie in den Vorjahren. Es läuft zwar weiterhin ganz
gut, doch ich merke, dass ich der - für diesen Trainingszustand (zu) hohen Geschwindigkeit - Tribut zollen muss und verlangsame etwas das
Tempo. Auf dem Hohenzollerndamm ist dann allerdings total die Luft raus. Ich kann nicht mehr. Ich breche jämmerlich ein. Bin total fertig.
Jetzt rächt sich bitter, dass ich nicht ausreichend trainiert habe und - abgesehen vom Thüringer Brückenlauf und dem völlig
kontraproduktiven Nidda-Projekt - keine langen Läufe gemacht habe. Die 03:55h sind flöten. Bei jedem meiner Marathons
konnte ich bislang eine neue Bestzeit aufstellen. Heute nicht mehr. Und damit fehlt mir urplötzlich jegliches ZIEL, jegliche Motivation!.
Erstmals in meinem Leben frage ich mich: warum tust du dir das an? Warum läufst du überhaupt? Du bist doch bescheuert! Ich will
abbrechen. Wo ist die nächste U-Bahn-Haltestelle? Ah. Fehrbellinerplatz. Was? Soweit noch? Das schaffe ich nicht mehr! Ich habe
keinen Bock mehr, ich habe kein Ziel mehr vor Augen, ich habe keine Motivation mehr. Wenn ich jetzt abbreche, muss ich das vor
gar niemandem (ausser mir selbst) rechtfertigen. U-Bahn-Fahren ist schön. Ein leckeres Bier auch. Und nochmal: Warum tust du dir
das überhaupt an? ... noch keinen einzigen meiner bislang 45 Wettkämpfe habe ich abgebrochen ...
... reiss dich zusammen! Beiss die Zähne zusammen! Aufgeben gilt nicht! Also weiter! Dann überholt mich Ivan (vom Hübi-Forum).
Er läuft zwar recht langsam, aber doch sehr konstant. Beeindruckend konstant. Was du, Ivan, kannst, kann ich auch! Also dranbleiben! ... Ivan,
wenn du wüsstest, wie motivierend Du in dem Moment warst! . Unterwegs sehe ich am Strassenrand den Komiker Guido Cantz ("Genial Daneben"). Er macht
gerade eine Staffelübergabe der "Promi-Staffel für Äthiopien". Auf dem Ku'damm halte ich immer Ivan weiter im Blick. Bleibe ihm auf den Fersen ... doch
am Wittenbergplatz zieht er mir davon. Sehr gute Stimmung (besser als am Wilden Eber zum Beispiel) am Potsdamer Platz! Das motiviert wieder!
Am Leipzigerplatz schliesslich spricht mich Randy (Hübi-Forum) an. Er steht an der Strecke und musste leider abbrechen. Oh weh. Und ich kann
auch nicht mehr. Dieser BM ist eine echt Qual! ... ich muss Gehen. Kann nicht mehr Laufen. Und dann brüllt mich plötzlich von hinten ein
Motivations-Genie an! -> Claus-Norbert (aus dem Berliner Forum) mit seiner Pace-Fahne auf dem freien Oberkörper! Seine lautstarken
Motivationsrufe helfen tatsächlich nochmal mitzulaufen. Immer wenn ich wieder schlapp machen will brüllt er jedoch ein sehr
lautes "weiter! Nix gehen! Laufen!" ... ausserdem brüllt er in einer Wahnsinns-Lautstärke noch die Zuschauer an, auf dass diese
Stimmung machen! Claus-Norbert: von deiner Energie, die du zu diesem Zeitpunkt hattest war ich sehr beeindruckt! Doch irgendwann muss
ich leider auch ihn ziehen lassen.
Traurig und demotiviert schlappe ich Unter den Linden entlang und ich bin froh, endlich das Ziel erreicht zu haben. Froh darüber,
dass die Qual zu Ende ist. War der Lauf nicht dein Freund, war er dein Lehrer!
Heute Abend dann Heimfahrt von Berlin nach Frankfurt. In einem Café im Berliner Hauptbahnhof sass neben mir übrigens der ehemalige
Fussballspieler Olaf Thon samt Lebensgefährtin. Später im Zug lese ich in der MoPo, dass er gestern auch den Marathon gelaufen ist!
Ich wollte ganz "routiniert" und "erfahren" den Marathon heute einfach so abspulen. Wird schon klappen. Das war offenbar eine
Arroganz vor dieser Distanz, die bitter bestraft werden sollte. Was ich gelernt habe? Wieder eine tiefe Demut, einen grossen Respekt
vor einer Strecke zu empfinden, die man eben nicht "einfach mal so" abspulen kann ...
... Verlaufskurve und Ziele:
2004: Berlin (05:02:47) - erster Marathon. War aber eine Qual, da falsch trainiert.
2005: Hamburg (04:58:53) - auch eine Qual. Da ebenfalls falsch trainiert.
2005: Berlin (04:17:58 ) - optimal vorbereitet. Schönster Marathon bisher.
2006: Paris (03:58:51) - übler Sturz. Dennoch wesentlich langsamer gelaufen, als ich hätte können. Bei weitem nicht am Limit gewesen!
2006: Berlin (04:32:14) - wieder Respekt und Demut vor den 42,195 Km erlernt.
2006: New York City. Unter 4 Stunden bleiben, aber geniessen.
2007: Frühjahrsmarathon (Ruhr oder Kassel): neue Bestzeit anvisieren. Ganz klar und ohne Wenn und Aber. Mit vernünftigem Training.
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© Oktober 2006 erstellt von Martin J. Zimmermann.
Letzte Änderung dieser Seite: 07. Oktober 2006.